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Ich sehe dich

  • akhaag
  • 4. Nov. 2023
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Sept. 2024


„Mir konnte keiner was“ hieß es früher in unserem Kinderbuch. Wir haben schon damals gelacht, denn der Spruch hätte auch von dir sein können. Dir konnte keiner was. Ja, dafür hast du immer gesorgt. Du warst der Mann, der nie Muskelkater hatte. Der alles konnte und darüber auch gerne gesprochen hat. Aber deshalb warst du auch der Mann, den ich nie richtig greifen konnte. Den ich in all den Jahren so oft getroffen habe, ihm aber nie wirklich begegnet bin. 


Mit der Zeit habe ich verstanden, dass das, was auf den ersten Blick nach Stärke aussah, eigentlich ein Panzer war. Ein Panzer, der dich zwar beschützt, aber auch einsam gemacht hat. Denn deinen Kern, den hast du niemandem gezeigt. Das hast du erst, als das Leben dir deinen Panzer mit einer so brutalen Wucht weggerissen hat, dass du keine andere Wahl mehr hattest. Und so konntest du dich zum ersten Mal zeigen, ohne dass ich es habe kommen sehen. 


Als ich gerade gehen wollte, hast du nochmal meine Hand genommen und mich aufgehalten. Du hast mich einfach nur angesehen, denn deine Worte wurden dir zu dem Zeitpunkt schon genommen. Aber die brauchtest du auch gar nicht, denn in diesem einen Blick lag alles. Du hast mich bis auf deinen Grund schauen lassen und mich ganz klar spüren lassen: Es ist am Ende so viel schwerer zu bereuen und in sich selbst gefangen zu sein mit so viel Gefühl, das nie seinen Weg nach draußen finden konnte. 


Da war so viel Schmerz in deinem Blick, der gesagt hat „Ich hätte es mir so gewünscht“. Aber auch ein sanftes „Mach du was draus“, das mich tief berührt hat. Du traust mir zu, dass ich das kann. Und ich weiß: Ich mir inzwischen auch. Denn ich will, dass mir jemand etwas kann. Auch wenn mir das unglaublich viel Angst macht und es jedes Mal aufs Neue ein Sprung ins kalte Wasser ist. Aber ich will es zumindest versuchen. Ich will mich berühren lassen und Menschen begegnen. Auch wenn das heißt, dass mir andere weh tun können und ich mich manchmal so verletzlich fühle, dass ich am liebsten weglaufen würde. Doch es lohnt sich, den Weg trotzdem zu gehen. Das habe ich durch dich nochmal auf einer ganz anderen Ebene gefühlt. Und das war das Schönste, was du mir auf deinen letzten Metern noch mitgeben konntest.

 
 
 

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